Was als Kind Angst gemacht hat, wurde die beste Art, sich auszudrücken

Was als Kind Angst gemacht hat, wurde die beste Art, sich auszudrücken
Was als Kind Angst gemacht hat, wurde die beste Art, sich auszudrücken

Samstag, 3. September 2011

Die Tage danach...

Das eine Zungenspaltung nicht so das Angenehmste vom Angenehmen ist, war mir von Vornherein bewusst. Ich hatte mich informiert, war zu einem Body-Artisten gegangen, dem ich über alle Maßen vertraue und war schlussendlich froh, es getan zu haben. Nun hatte ich aber allerhand Horrorgeschichten über "die Tage danach" gehört...über kaum auszuhaltende Schmerzen und Ähnliches. Die Wahrheit? Hier habt ihr sie, komplett ungeschminkt:


Tag 1 - Mhhhmm mhhmm mhh mh?!

Als ich nach der ersten Nacht aufwachte, in der ich immerhin 9 Stunden geschlafen hatte, fühlte ich mich merkwürdig. Ich hätte einen Schmerz erwartet, der mir Tränen in die Augen treibt und vor allem hatte ich nicht erwartet, ausgeschlafen zu sein. Deswegen blieb ich noch eine Weile im Bett liegen und genoss dieses völlig schmerzfreie Gefühl. Die Zunge war angeschwollen, das fühlte ich. Sie zu bewegen traute ich mich noch nicht, aber soweit war alles ok. Mir war nur etwas schlecht, was wahrscheinlich von dem massiven Blutverlust kam, den ich noch in keinster Weise mit Nährstoffen wieder rein geholt hatte. Und das hatte ich auch erstmal nicht vor.
Ein Freund, der bei mir übernachtet hatte, um mich zu überwachen, wechselte mir als allererstes die Tamponade. Es hatte einigermaßen aufgehört zu bluten, war in der Nacht aber ein Stück rausgerutscht...und zugewachsen, auf der unteren Seite. Chris drückte mir die neue Tamponade bis zum Anschlag rein, was wieder ziemlich schmerzhaft war. Etwa eine halbe Minute brannte meine Zunge wie Feuer, bevor sie sich wieder beruhigte. Trinken konnte ich nur wenig und vorsichtig....das schmeckte so eigenartig und war auch noch sehr unangenehm. Dann zog ich mich an, machte mich fertig...und ging auf Arbeit.
Nachdem ich allerdings den Laden durchgewischt hatte, wurde mir ziemlich schwindelig und ich musste mich setzen. Mit eindringlichem "mhhh mhmm mh mh!!!!" und Zettel & Stift konnte ich den Anwesenden erklären was mir fehlte und es wurden sofort Eiswürfel herbei geschafft. Den restlichen Tag ging ich dann ruhig an.
Abends stand dann die erste Mahlzeit an....und ich war wahnsinnig hungrig. Es gab Buchstabennudelsuppe! Das war nicht schmerzhaft....nur nervig, da sich die Nudel ständig zwischen den Zungenhäften verfingen. Trotzdem war ich von der ersten Mahlzeit positiv überrascht.
Vor dem Schlafen gehen musste wieder eine Tamponade rein. Nachdem ich den ganzen Tag Eiswürfel gelutscht hatte, war die Zunge noch ein Stück zugewachsen. Ich schaffte es nicht, die Tamponade bis zum Ende durchzudrücken und damit ging etwa ein Drittel des Cuts verloren.

Tag 2 - Reden müsste man können!

Nach der zweiten Nacht war der Cut der Zunge also leider nicht mehr so lang. Ich hatte wieder durch geschlafen und da ich keine Lust hatte, noch mehr von der gespaltenen Zunge einzubüßen, handelte ich: Mit einem Ruck hatte ich die neue Tamponade zwischen die Zungenhälften geschoben und diese somit wieder aufgerissen. Es brannte wieder eine Minute, dann war es gut. Zunge gerettet.
Zum Frühstück gab es - ja das ist mein Ernst - einen Donut mit Schokolade gefüllt. JAA, keine Milchprodukte, ich weiß! Aber ich hatte wahnsinnigen Hunger und ich hab meinen Mund danach auch sofort mit ProntoLind ausgespült...von daher war das schon ein einmaliger Ausrutscher, den man verzeihen kann ;) Das Essen war nicht einfacher als am Vorabend, aber es tat guuut ;)
An diesem Tag erlaubte mir mein Chef auch endlich, Wassereis anstatt der Eiswürfel zu lutschen. (Das ist vorher nicht zu empfehlen, weil meistens Zitronensäiure drin ist!) Aber das Eis war auch eine Wohltat, vor allem wenn ich es zwischen die Zungenhälften schob. Das zwickte zwar anfangs etwas, betäubte dann aber die wunde Zunge.
Ab und zu brannte die Wunde an diesem Tag für ein paar Sekunden. Das ging aber schnell wieder weg und war nicht weiter erwähnenswert. Und ich hatte immernoch keine Schmerztablette gebraucht, juhuu! Mit dem Sprechen war an diesem Tag schon etwas mehr los. Ok, ich redete vielleicht ein bisschen, als wäre ich geistig leicht eingeschränkt. Aber es machte mich schonmal sehr glücklich, überhaupt wieder reden zu können! Das Lispeln war sehr stark und da ich nicht richtig schlucken konnte, fing ich auch manchmal leicht an zu sabbern...aber es war trotzdem ein gutes Gefühl :D
Am Morgen dieses Tages hatte ich die ersten Fotos gemacht, die ihr nun bewundern könnt:



Der Split. Oben sieht er noch so lang aus, wie er ursprünglich war. Leider sieht man nicht, dass es unten schon sehr zugewachsen war. Beim Nachschneiden möchte ich es wieder auf die Länge haben!






Ich hab mal versucht, die Hälften auseinander zu machen...keine Chance :D Ging an diesem Tag nur, wenn ich die Zunge zurückgezogen hab, etwas automatisch.





Tag 3 - Es bewegt sich!!!

In den ersten zwei Tagen hatte ich mir nicht im Geringsten vorstellen können, wie ich diese zwei Dinger in meinem Mund unabhängig voneinander bewegen sollte. Der dritte Tag war ein Sonntag und ich verbrachte ihn größtenteils auf der Couch. Als ich allerdings einmal mit ProntoLind spülen war, konnte ich nicht widerstehen: Ich öffnete vor dem Spiegel den Mund und übte. Die Zunge anspannen, raus strecken, rein ziehen....ich stand so lange da, bis es endlich ging, wenn auch nur ein kleines Stück: Die Zungenhälften bewegten sich auseinander!!! Ich war wahnsinnig stolz darauf.
Durch dieses üben hatte ich die frische Wunde allerdings gereizt und mein Mund fing wieder an, wie Feuer zu brennen. Es war kein extremer Schmerz, aber er nervte an einem freien Tag und so nahm ich am 3. Tag die erste Schmerztablette. Danach hatte ich auch schnell wieder meine Ruhe.
Geredet hatte ich an diesem Tag nicht mehr, immerhin war ich allein Zuhause. Aber ich glaub diese Pause tat mir auch ganz gut.

Der Rest der ersten Woche - Es wird immer besser!

Seit diesem denkwürdigen, dritten Tag übte ich jeden Tag vor dem Spiegel meine Zungenakrobatik. Im Fokus lag dabei zu allererst das Auseinander-ziehen, ohne die Hände oder irgendwas anderes zu benutzen. Über jeden kleinen Schritt wurde mein Lieblings-Body-Artist Ben freudestrahlend informiert, der sich natürlich auch sehr für mich freute.
In diesen Tagen bekam ich auch die ersten Reaktionen auf meine Zungenspaltung zu spüren. Natürlich wurde ich auf Arbeit immer gefragt, warum ich denn so seltsam redete. Wenn ich den Grund zeigte, war die Reaktion eigentlich immer gleich: Entsetztes Gesicht, wegschauen, "iiiihhh", wieder hinschauen, viele viele neugierige Fragen stellen (Spitzenreiter: "Tut das nicht weh?!"). Auch wenn das Reden immer noch sehr anstrengend und nach einer Weile etwas schmerzhaft wurde, beantwortete ich alle Fragen geduldig. Immerhin will ich die Leuten als Body-Artistin ja über Bodymodifications aufklären...und das tat ich nach besten Wissen und Gewissen.
Nach den ganzen Zungenakrobatik-Übungen brauchte meine Zunge immer wieder eine Beruhigung mit Eiswürfeln. Das linderte den Schmerz und die Schwellung wurde auch immer weniger. Es sah gut aus, den gröbsten Teil hatte ich damit schon überstanden.

Nach einer Woche - Langsam wirds!

Habt ihr die erste Woche überstanden, fühlt ihr euch wie neu geboren! So war es zumindest bei mir. Die Schwellung war fast gänzlich verschwunden, ich hatte keine Schmerzen und keine Probleme mehr....naja bis auf die Tatsache, dass ich immernoch stark lispelte. Den Leuten, die täglich mit mir zu tun hatten, fiel die Verbesserung meines S-Fehlers natürlich auf. Doch nun traf ich auch immer häufiger auf Freunde, die es noch sehr merkten.
Etwa anderthalb Wochen nach der Zungenspaltung führte ich das erste Telefonat mit meiner Mutter (die natürlich noch nichts davon weiß!)...sie hat am Telefon zumindest nichts gehört :)
Mittlerweile hatte ich es dann auch langsam hingekriegt, die linke Zungenhälfte über die rechte zu legen, das wurde zu meinem Lieblingstrick ;)

Heute, nach zweieinhalb Wochen - War irgendwas?

Der Titel sagts: Mir geht es super. Alles ist soweit verheilt, keine Schmerzen, keinerlei Schwellung mehr, völlige Bewegungsfreiheit. Naja, ich merke aber mittlerweile schon, dass der Cut zu kurz ist. Ich freue mich bereits darauf, wenn die Zunge endlich nachgeschnitten wird und ich sie noch besser bewegen kann, momentan fühlt es sich noch an wie eine kleine Blockade. Aber das krieg ich sicher auch noch in den Griff. Und wenn das nervige Zungenbändchen durch ist, steht der Akrobatik nix mehr im Weg!!!
Sprechen kann ich auch wieder normal. Die meisten Menschen hören zwar, dass ich etwas anders rede als vorher, denken aber nur, dass ich nüschle ;) Bis jetzt hat es niemand zuordnen können ;) Ob ich noch einen S-Fehler habe, kann ich leider nicht genau sagen....in meiner Umgebung hört keiner mehr etwas, aber die Probe aufs Exempel muss ich wohl bei meiner Mama machen, in drei Tagen ;) (Ich werde berichten!)
Ich ziehe also hiermit mein erstes Fazit: Ich liebe meine gespaltene Zunge. Irgendwie fühlt sie sich immer noch sehr natürlich an, als wäre ich damit geboren worden. Gleichzeitig ist es, als wäre sie freier. Es ist ein wahnsinnig tolles, aufregendes Gefühl, was man einfach nicht in Worte fassen kann...das muss man erlebt haben. Nicht nur die Zungenspaltung an sich, sondern auch, eine Bodymodification gemacht zu haben, mit der man glücklich ist.
Man hat dazu beigetragen, dass man sich wohler fühlt. Schöner. Irgendwie richtiger. Und das ist wohl eins der schönsten Gefühle, die man überhaupt haben kann.

Anne.

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